Adresse:
Bürgermeister-Hengeler-Str. 7
87448 Waltenhofen
Auftraggeber:
Raiffeisenbank Kempten-Oberallgäu eG
Beauftragte Leistung:
Objektplanung LPH 1-9 HOAI
Projektzeiten:
Planung: 10/2016 - 05/2019
Bauzeit: 06/2019 - 03/2021
Projektgröße:
BRI: 5.262,4 m2
BGF: 1.104,2 m2
Baukosten:
Kostenberechnung (KG 300+400): 4,1 Mio. € inkl. MwSt.
Energiestandard:
KfW-Energieeffizienzhaus 55 (EnEV 2016)
Projektbeteiligte:
Tragwerksplanung:
Ingenieurbüro Lämmle, Wiggensbach
HLS-Planung:
e-con AG, Memmingen
Elektro-Planung:
elektromiller, Kempten
Freianlagenplanung:
Keller Damm Kollegen, München
Bauphysik:
Ingenieurbüro für Bauphysik Horstmann + Berger, Altensteig
Brandschutzplanung:
Ingenieurbüro Herbert Haug, Wertach
Fotografie:
Rainer Retzlaff
Gemeinschaftliches Wohnen
In der unmittelbaren Nähe des Ortszentrums von Waltenhofen, in der Bürgermeister-Hengeler-Straße, wird ein Wohngebäude mit 24 Wohneinheiten geschaffen. Der Bauherr, die Raiffeisenbank Kempten-Oberallgäu eG, wird das Objekt an die Lebenshilfe für Menschen mit Behinderungen e.V. Kempten als Betreiber vermieten. In den Wohnungen werden ab Anfang 2021 Menschen mit Behinderung ihr neues Zuhause finden.
Ein Zitat aus dem Leitbild der Lebenshilfe für behinderte Menschen e.V. Kempten zeigt die Intension des Bauprojektes: „Es ist unsere Vision, dass Menschen mit ihren besonderen Bedürfnissen und Behinderungen hier in der Region selbstbestimmt, würdig und geachtet inmitten der Gesellschaft leben können.“
Es wird am neuen Standort in Waltenhofen ein Wohnkonzept geschaffen, welches neuen und Bewohnern bestehender Wohngemeinschaften im Rahmen von Umzügen auf dem Hintergrund einer Verbesserung der Lebens-, Wohn- und Betreuungsqualität zur Verfügung stehen soll.
Die Herausforderungen an dem Wohnprojekt bestehen darin, kostengünstigen Wohnraum für Menschen mit Behinderung zu schaffen, der sich vor dem Hintergrund von Inklusion sowie sozialraumorientierten Lebenskonzepten nur in unvermeidlichem Umfang von den Wohn- und Lebensformen ihrer Mitmenschen ohne Behinderung unterscheidet. Überschaubare, dezentral liegende Wohngemeinschaften mit einem Höchstmaß an individuellen Teilhabemöglichkeiten durch entsprechende Rahmenbedingungen vor Ort inmitten der Gesellschaft sind der bauliche Schlüssel für die Umsetzung dieser Leitlinien.
Die Lebenshilfe Kempten bietet an diesem Standort für erwachsene Menschen mit geistigen und/oder mehrfachen Behinderungen unterschiedlichen Grades und Alters betreute Wohngemeinschaften an.
Die Wohngemeinschaften sind für das Zusammenleben von 2 Gruppen mit je 11 Bewohnern und einem angegliederten Appartement je Wohngruppe ausgerichtet. Die Wohngemeinschaften sind heterogen alters- und geschlechtsgemischt konzipiert und können sehr unterschiedlichen persönlichen Hilfebedarfen und Bedürfnissen gerecht werden. Die Wohngemeinschaften können bis ins hohe Alter genutzt werden. Die Wohngemeinschaften folgen dem Selbstversorgerprinzip. Die Versorgung des Haushalts, die Einkäufe des täglichen Bedarfs, die persönliche Freizeitgestaltung, das soziale Leben in und außerhalb der Wohngemeinschaft soll, soweit als möglich, eigenständig und selbstbestimmt gestaltet werden. Die Mitarbeiter/innen der Lebenshilfe geben Motivation, Anleitung, Hilfestellung und Förderung im individuell notwendigen Rahmen. Das Konzept und das Raumprogramm wurden von Betreiber und Architekten begleitend mit der Regierung von Schwaben gemeinsam entwickelt.
Lage und Städtebau
Das Grundstück liegt im Bereich des Bebauungs- und Grünordnungsplanes „Bürgermeister-Hengeler-Straße“ der Gemeinde Waltenhofen in unmittelbarer Nähe der ortserschließenden Immenstädter Straße. Sie ist derzeit eine Durchfahrtstraße durch Waltenhofen und diente ursprünglich als Bundesstraße, bis sie durch die ortsumgehende B19 ersetzt wurde. Die Erschließung erfolgt vorübergehend von der Bürgermeister-Hengeler-Straße in Form eines Bypasses zur Hauptstraße. Im Zuge der Realisierung des Bebauungsplanes „Neue Ortsmitte Waltenhofen“ soll der Verlauf der Immenstädter Straße unter Aufgabe der Parallelstraße verschwenkt werden, so dass die Zufahrt künftig direkt von der verkehrsreduzierten Immenstädter Straße erfolgen wird.
Das Grundstück liegt an einem nach Westen hin ansteigenden Hang, der im Westen an eine Kleingartenanlage anschließt. Die Nachbargebäude im Norden und Süden des Grundstücks bestehen aus kleinteiliger Bebauung. Die Ortsentwicklung sieht künftig eine Erneuerung der bestehenden teilweise in die Jahre gekommenen, kleinteiligen Häuser durch größere Gebäude vor. Das neue Wohngebäude greift der Entwicklung des Ortes vor und nimmt in Größe des Baukörpers städtebauliche Bezüge der umgebenden Bebauung Seniorenzentrum und Gasthof Hasen auf.
Architektonische Leitgedanken
Das Raumprogramm wird in einem kompakten dreigeschossigen Baukörper verwirklicht.
Das Foyer des Gebäudes wird über einen Vorbereich im Osten fußläufig erschlossen. Auch der Fahrverkehr zur Tiefgarage erreicht das Grundstück in diesem Bereich. Das Erschließungssystem des Gebäudes sieht eine zugangskontrollierte vertikale Haupterschließung und eine private, den Wohngruppen direkt zugeordnete, vertikale Erschließung im Mittelflur vor. Diese Anordnung erlaubt eine Trennung der privaten Wohnbereiche von Besuchern und ermöglicht deren Zugang in kontrollierter Form.
Der zweihüftige Grundriss organisiert alle Nutzflächen um einen zentralen Flur mit Belichtung über ein Dachoberlicht. Alle Nutz- und Verkehrsflächen erhalten somit angemessen Tageslicht. Die durch übergreifende Luft- und Lichträume belichtete lineare vertikale Erschließung der Wohngruppen verläuft parallel zum Anstieg des Hanggrundstücks und zeichnet den natürlichen Geländeverlauf nach.
Die Bewohnerzimmer sind nach Osten und Süden orientiert, die Verwaltungs- und Zubehörräume im Norden angeordnet. Die kleinteiligen Nutzräume der Bewohner und Verwaltungszimmer werden durch einen innenliegenden zentralen Flur erschlossen.
Das Gebäude ist aufgrund der Hanglage auf der Schmalseite im Süden zu 2/3 im Erdreich eingebettet. Die unbelichteten Bereiche dieser Gebäudeteile nehmen einen Haustechnikraum und eine Tiefgarage auf. Durch Stellplatzvorgaben der Gemeinde ist es erforderlich, die vorzuhaltenden Stellplätze fast ausschließlich im Gebäude, d.h. im hinteren Teil des Erdgeschosses in Form einer Tiefgarage vorzuhalten.
Die Etagierung des Gebäudes spiegelt sich in der Terrassierung des Grundstückes und den Außenraumverbindungen der drei Geschosse wieder. Die Organisation des Gebäudes am Hang ermöglicht auf jeder der drei Etagen einen direkten Zugang und Außenbezug. Die von der Haupterschließung im Osten separierten Gruppenaufenthaltsräume im Erdgeschoss richten sich mit Terrasse und Anschluss an den Außenraum nach Süden aus. Das 2. Obergeschoss schließt die Gruppenräume mit einer Terrasse an den Außenraum im Westen an.
Freiflächenkonzept
Die Gestaltung der Außenanlagen legt hohen Wert auf Praktikabilität und Barrierefreiheit für die Bewohner und das pflegende Personal.
Der Eingangsbereich und die Zufahrt sind asphaltiert und erschließen die neugeplante Tiefgarage des Wohnheims. Der Parkplatz nördlich der Zufahrt bietet zwei Stellplätze für größere Mehrpersonenfahrzeuge sowie einen behindertengerechten Besucherstellplatz direkt am Eingang.
Im Entree sind Sitzmöglichkeiten wie Sitzwürfel und eine langgezogene Sitzmauer entlang einer Wegeführung, welche in den Vorgarten südlich des Gebäudes führt, vorhanden.
Die Belagsflächen der Terrassen im südlichen und westlichen Teil des Wohnheimgartens bestehen aus großflächigen Formaten mit sandgestrahlter Oberfläche und sind damit ideal geeignet für eine barrierefreie Fortbewegung und einen problemlosen Schneeräumdienst im Winter. Das nach Westen stark ansteigende Gelände wird durch Stützmauern entlang dem topografischen Verlauf terrassiert, um entlang des Gebäudes mehrere ebene Flächen mit Aufenthaltsqualität zu schaffen.
Nördlich des Gebäudes kommt man über Treppenanlagen in den hinteren Garten im westlichen Teil des Grundstücks. Eine ebene Fläche aus großformatigen Betonplatten ermöglicht Bewegungsspiele für die Anwohner sowie das Aufstellen von Spielgeräten und Sitzmöglichkeiten.
Eine kleine Sitzmauer aus Fertigbetonteilen mit einer Holzauflage trennt die räumliche Komposition von der einer großflächig angelegten Gemeinschaftsterrasse. Durch in den Belag integrierte Bodenhülsen lassen sich im Sommer mehrere Sonnenschirme aufstellen und geben ausreichend Schutz. Im Süden angrenzend an die Terrasse befindet sich ein kleiner Geräteschrank zur Unterbringen von Utensilien.
Im westlichen Teil des Grundstücks führt serpentinenartig ein nicht barrierefreier gemähter Weg durch die sonst extensiven Wiesenflächen den Steilhang hinauf und bietet etwas höhergelegen einen kleinen Aufenthalt mit Panoramablick. Flankiert wird der Weg durch mehrere Solitärgehölze und Baumgruppen entlang der Grundstücksgrenze. Ein Zaun begrenzt dabei das Grundstück gegen Westen und Süden und ist anhand eines Gartentor-Zugangs zu einem angrenzenden Fußgängerweg im Süden angebunden.
Wie im westlichen Teil des Wohnheims gibt es auch im südlichen Teil jeweils eine Terrasse für betreutes Wohnen mit einer Sitzmauer sowie ausreichend Platz für Sitzmöbel und das Aufstellen von Sonnenschirmen. Daran anschließend ist eine weitere Terrasse für selbstständiges Wohnen. Im Gegensatz zur Gemeinschaftsterrasse kann man durch bodentiefe Fenster mit Türen direkt vom Gebäude auf die Terrasse gelangen.
Durch eine extensive Begrünung als Einfriedung des Grundstücks schafft man einen Puffer und eine optische Grenze zu den benachbarten Grundstücken, ohne dass Mauern erforderlich sind. Die Pflanzen sind dabei weder giftig noch können sich die Bewohner daran verletzen.
Material und Konstruktion
Das Tragwerk ist als Massivbau in Stahlbeton konzipiert. Der Dachstuhl in Holzbauweise liegt außerhalb der thermischen Hülle. Die Kaltdachkonstruktion aus KVH ist mit einer hinterlüfteten Dachhaut aus rostfreiem, mattem Edelstahlblech versehen. Eine Oberlichtverglasung auf Brettschichtholzbindern in Sichtqualität sorgen für eine großzügige Belichtungen der Mittelzone.
Die Fassadengestaltung mit senkrechten Lärchenkanthölzern in den Obergeschossen auf einem massiven Betonsockel interpretiert heimische Baustile in moderner Weise. Der Einbau des Lärchenholzes erfolgt unbehandelt und ist dem natürlichen Vergrauungsprozess unterworfen.
Die Außenwände im Erdgeschoss werden für erhöhte Robustheit und Langlebigkeit der Oberflächen als Sichtbeton-Doppelwandelemente - Halbfertigteile mit Kerndämmung - ausgeführt.
Die Außentüren und Fenster sind als Holzfenster mit Aluminium-Deckschalen und 3-fach Verglasung konzipiert. In den Wohnräumen sind diese kombinierten Elemente aus Festverglasung, Kämpfer und öffenbarem Lüftungsflügel mit starrem Sonnenschutz und Metallgitter als Absturzsicherung ausgeführt.
Außenliegende Raffstores aus pulverbeschichteten Aluminiumlamellen sichern den sommerlichen Wärmeschutz. Die inneren Wandoberflächen der massiven Wände werden glatt verputzt und an die Oberflächen der Trockenbau-Schallschutzwänden angeglichen. Die Innentüren werden mit robusten pulverbeschichteten Metallumfassungszargen und schichtstoffbeschichteten Türblättern gemäß Schallschutz-Brandschutzanforderungen ausgeführt.
Entsprechend dem Farbkonzept erhalten die Innenwandbekleidungen der Bäder vollflächige fugenlose farbige Beschichtungen auf Boden, Wänden und Decken. Schallabsorbierende Unterdecken in den Fluren und Aufenthaltsräumen dämpfen mögliche Lärmentwicklungen durch sich bewegende Bewohner. Für die Beläge der Böden in Fluren, Aufenthaltsräumen, Büros und Bewohnerzimmern wurde Linoleum gewählt, die Pflege- und Bewohnerbäder erhalten einen Bodenbelag mit höherer Rutschfestigkeit.
Wärme- und Schallschutz
Im Vergleich zum Referenzgebäude der EnEV2016 benötigt das Effizienzhaus 55 nur 55 % der Primärenergie. Zudem liegt der Transmissionswärmeverlust bei nur 70 %. Der bauliche Wärmeschutz ist somit um 30 % besser. Die Wärmebereitstellung erfolgt von der Nahwärmeversorgung Waltenhofen aus regenerativen Energien mit einem Primärenergiefaktor von fp,FW = 0,43, die im Wesentlichen aus der Verbrennung von Holzhackschitzeln gewonnen werden. Das Gebäude wird mit einer hocheffizienten Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung ausgestattet. Die Beheizung der Bewohnerzimmer erfolgt über Konvektoren, in Teilbereichen, wie den Gemeinschaftsräumen und Küchen sowie den Appartements im Erdgeschoss über Fußbodenheizung. Die Böden der Bäder der Bewohnerzimmer werden über den Rücklauf des Badezimmerheizkörpers temperiert.
Die Grundlage des Schallschutznachweises liegt den technischen Baubestimmungen der Bayerischen Bauordnung die DIN 4109 Schallschutz im Hochbau zugrunde. Da das Bauvorhaben lediglich über „Übernachtungsräume“, nicht jedoch über abgeschlossene Wohnungen verfügt, werden die Anforderungen im Sinne der DIN 4109 für Hotels und Beherbergungsstätten herangezogen. Für die Pflege, Therapieräume und Dienstzimmer werden die Anforderungen an Krankenhäuser und Sanatorien gestellt.