Auftraggeber:
GWG Lindauer Wohnungsgesellschaft mbH
Wettbewerb:
2. Rundgang
Projektgröße:
63 Wohnungen, >50% förderfähig
Die Auslobung des Wettbewerbs lief im Rahmen des Modellvorhabens der Obersten Baubehörde unter dem Titel "effizient bauen, leistbar wohnen". Besonderes Augenmerk sollte unter anderem auf innovative Lösungen zu folgenden Themen gelegt werden: Innovation, Städtebau, Kosten, Nachhaltigkeit, Verzicht auf Haustechnik, Adressbildung, Identitätsstiftung, Gemeinschaft, Verzicht auf individuelle Mobilität, Maximale Qualität der Freiräume und der Wohnungen.
effizient bauen, leistbar wohnen
Übergeordnetes Ziel des Entwurfes ist es, besonders kostenbewusst und effizient Wohnraum zur Verfügung zu stellen, der dennoch besondere Qualitäten aufweist. Über die bloße Befriedigung des Bedürfnisses nach Wohnraum hinaus wird ein Angebot und ein Umfeld geschaffen, das die Kommunikation der Bewohner auf allen Ebenen fördert, das Generationen übergreifend Gemeinschaft stiftet und es ermöglicht, weitgehend auf private Mobilität zu verzichten.
Städtebau, Erschließung
Der Neubau besetzt als ordnendes Element inmitten stark differenzierter, meist kleinteiliger Bebauung die Parzelle an der Münchhofstraße. Das Grundstück versteht sich als Obstgarten, vorhandene Auffüllungen zu benachbarten Grundstücken werden nivelliert. Um die ablesbare Großform des gemeinschaftlichen Hofes mit gemeinschaftlicher Erschließung sind vier Baukörper gruppiert, die durch Zäsuren in der Baumasse und den verbindenden Balkonen und Laubengängen den großen Maßstab der Figur brechen und in die Umgebung einbinden. Einer der Baukörper nimmt die Gebäudefluchten im Straßenraum auf, der anschließende Rücksprung schafft Raum für die Besucherstellplätze und leitet zum Hof über. Die Erschließung erfolgt sowohl von der Münchhofstraße, als auch von der Rickenbacher Straße, die Anbindung an beide Straßen ist Teil des Konzeptes. Die Durchwegung führt von Norden aus Richtung der Schulen, der Buslinie 1 und den Besucherstellplätzen über den Gemeinschaftshof über eine Freitreppe zu den Fahrrad- und Carsharing Abstellplätzen im Tiefgeschoss nach Süden zur Rickenbachstraße in Richtung Stadtzentrum, Buslinie 3 und Bahnhof. Neben den Zugängen zum Gemeinschaftshof erschließen zwei Treppenhäuser die wettergeschützten Laubengänge. Der Höhenunterschied erlaubt es, Fahrzeuge einfach unter dem Gebäude abzustellen, die Freiflächen bleiben ungestört. Die Zufahrt an der Rickenbacher Straße wird gestalterisch aufgewertet.
Architektonisches Konzept
Die vorgeschlagenen Gebäude zeigen Merkmale unterschiedlicher Haustypologien: Um einen gemeinsamen Hof gruppieren sich einzelne Häuser, die jedoch nicht einzeln erschlossen werden, sondern über einen Ring gemeinsamer Laubengänge. Wesentliches und verbindendes Gestaltungsmerkmal ist die Schichtung aus auskragenden Stahlbetongeschossdecken mit feinem Stabgeländer und schlichten vergrauten Holzfassaden, die unterschiedlich weit zurückliegen und die privaten Austritte und Freiräume definieren. Die bandartigen Plattformen geben den einzelnen Häusern eine starke Gliederung. Diese erscheinen dadurch im Gelände lagernd. Die Gebäudevorsprünge werden von den Bewohner individuell genutzt und mit Leben erfüllt, ein vielfältiger Mix von Individualität wird nach außen hin vor dem schlichten und bei allen Häusern gleichen Hintergrund gezeigt. Zum Hof setzen farbige Flächen neben den Eingängen Akzente.
Typologie
Die Wohnungen orientieren sich immer sowohl zum umgebenden Obstgarten, als auch zum Laubengang. Der Laubengang funktioniert wie der Gehweg in einer Straße, Nischen oder Plattformen vor den Eingängen bilden eine Schwelle zwischen der öffentlichen und der privaten Sphäre und sollen durch die Bewohner wie ein kleiner „Vorgarten“ nutzbar sein. Neben den vertikalen Erschließungen ergänzen gemeinschaftliche Freibereiche und Räume das in den Freianlagen vorhandene Angebot. Diese sind Terrassenflächen teils mit Sommerküche, eine Fahrradwerkstatt, ein Waschsalon und ein Gemeinschaftsraum, der Skybar. Die Angebote sind an den Verkehrsflächen angelagert, um Begegnung zwischen allen Bewohner zu fördern und zur Gemeinschaftsbildung beizutragen. Auf ein Bespielen der Dachflächen wird zugunsten der Wirtschaftlichkeit verzichtet, ein Teil des Gründaches ist mit Photovoltaik-Modulen belegt. Das Konzept enthält zwei Haustypen. Ein Typus ist gekennzeichnet durch einen durchgesteckten Wohnraum Küche-Essen-Wohnen. Der Eingang wird durch eine kleine Nische zoniert, die Küche liegt mit einem Fenster am Laubengang, die Wohn- und Schlafräume an einer geräumigen Loggia, vor den anderen Fenstern gibt es einen schmalen Austritt. Der andere Typus ist gekennzeichnet durch tiefere Grundrisse. Die zum Laubengang hin orientierten Wohn- und Schlafräume erhalten größeren Abstand und gute Belichtung durch den wenige Meter abgerückten Laubengang und die halböffentliche Vorbereiche. In den beiden Haustypen können insgesamt 63 Wohnungen im gewünschten Mix nachgewiesen werden. Fast alle Wohnungen jeden Typs können öffentlich gefördert werden, alle Wohnungen sind barrierefrei nach DIN 18040, ein einziger Aufzug erschließt die ganze Anlage.
Konstruktion
Als Konstruktionsprinzip wurde eine hybride Bauweise aus Holz und Stahlbeton gewählt. Damit wird sowohl dem Einsatz ökologischer und regionaler Materialien bei den Wänden, als auch der Wirtschaftlichkeit der Decken Rechnung getragen. Die tragenden Wände werden ein- und zweischalig aus Brettsperrholz in Sichtqualität hergestellt, die thermische Hülle als Holzständerwerk eingestellt, sonstige Innenwände in Trockenbauweise errichtet. Im Bauablauf werden die mit Folie und Weichfaserplatten geschützten Holzwände aufgestellt, anschließend wird die nächste Stahlbetondecke mit „verlorener Schalung“ aus Filigranplatten betoniert. Die auskragenden Platten sind Fertigteile mit angeschweißten Isokörben.
Freiraum und landschaftsarchitektonisches Konzept
Ziel des vorliegenden Entwurfskonzeptes ist die Versorgung der zukünftigen Bewohner mit differenzierten, vielfältig nutzbaren Freiräumen unter besonderer Berücksichtigung der Einbindung in die umgebenden städtebaulichen und landschaftlichen Strukturen. „Gemeinschaftliches Wohnen im Obstgarten“ Zur Erlangung eines kohärenten, kontextuell erfahrbaren Erscheinungsbildes folgt das landschaftsarchitektonische Konzept konsequent der städtebaulichen Grunddisposition. Der Baukörper wird in einen mit Obstbäumen bepflanzten Wiesenhang einbettet. Bis auf die nördlichen und südlichen Gebäudezugänge wird auf eine äussere Erschliessung bewusst verzichtet. Über die Anlage von kleinen Gartenbeeten hinaus ist die freie Aneignung und vielfältige Bespielbarkeit konzeptbestimmend. Begriffe wie Durchlässigkeit, Transparenz und soziale Kontrolle, Enge und Weite, Licht und Schatten, Flexibilität, Mehrfachnutzbarkeit, Nutzungsoffenheit und individuelle Aneignung, wie auch Ökologie und Nachhaltigkeit, Robustheit und Kostenbewusstsein in Herstellung und Unterhalt bestimmen die weitere freiraumplanerische Herangehensweise. In der inneren Hofzone finden sich im Zusammenspiel mit den umlaufenden wettergeschützten Laubengang- und Gemeinschaftszonen Spiel- und Aufenthaltsangebote für alle Altersklassen. Eine übergeordnete zurückhaltende Materialverwendung in Entsprechung der Hochbauten unterstützt den Ensemblecharakter der Gesamtanlage. Dem ökologischen Kriterienkatalog folgend werden sämtliche nicht aktivierten Dachflächen extensiv begrünt.
Klima- und Energiekonzept
Die entwickelte Gebäudekonzeption bildet kompakte Baukörper für optimierten Wärmeschutz aus und sichert gute Tageslichtqualität und natürliche Durchlüftungsmöglichkeiten. Die passive Optimierung der Gebäude setzt bei der Minimierung von Wärmeverlusten durch opake Bauteile an. Die kompakte Bauweise der Gebäude und eine hinsichtlich Wärmebrücken optimierte Konstruktion mit ca. 20 cm starker Wärmedämmung in Wänden und 30 cm im Dach sichert in Kombination mit 3-fach Isoliergläsern mit einem u-Wert der Verglasung von 0.6 W/m²K und optimierten Rahmenkonstruktionen einen exzellenten Wärmeschutz und hohen Nutzerkomfort in den Wohnungen. Die Fassaden erhalten über die auskragenden Balkone einen fixen Sonnenschutz und wo erforderlich, externe bewegliche Elemente als Sonnenschutz. Über eine neutrale selektive Beschichtung der Verglasungen werden gute Tageslichtkennwerte bei geringen solaren Wärmeeintrag erreicht. Damit werden auch im Sommer bei hohen Außentemperaturen komfortable Raumtemperaturen im Innenraum gewährleistet. Über natürliche Querlüftung kann in Sommernächten eine Speicherung der natürlichen Nachtkühle in den Betondecken erfolgen, was Temperaturanstiege am folgenden Tag deutlich dämpft und guten thermischen Komfort in den Räumen gewährleistet. Die Beheizung der Wohnungen erfolgt über kompakte Plattenheizkörper, die neben den Fenstern platziert werden, um gleichzeitig die Nacherwärmung der Frischluft über die integrierten schallgedämmten Zuluftelemente mit zu übernehmen. Die Rücklaufleitungen der Heizkörper werden im Estrich geführt, wodurch etwa ein Viertel der Wärmeabgabe über die Fußböden erfolgt und so behagliche Strahlungswärme mit sehr guter individueller Regelbarkeit vorteilhaft und sehr kostengünstig miteinander kombiniert werden. Durch die kontrollierte Entlüftung jeder Wohnung werden definierte Frischluftwechselraten und damit ausgezeichnete Luftqualität bei relativ geringen Lüftungswärmeverlusten sicher gestellt. Die Abluft wird in Küchen- und Sanitärzonen gesammelt. Dadurch wird eine vollständige Durchströmung aller Aufenthaltsbereiche mit frischer Luft erreicht. Auf den Dächern werden auf ca. 600m2 Photovoltaikmodule oberhalb der Wasser führenden Dachebene flach aufgeständert, um eine entsprechende Hinterlüftung der Module zu gewährleisten und Eigenverschattung auszuschließen. Damit können Standard PV-Module montiert und die vorhandenen Dachflächen mit aktiven Modulen belegt werden. Die fast horizontale Anstellung der Photovoltaikmodule senkt zwar den pro Fläche erzielbaren Ertrag um etwa 15 % gegenüber optimal nach Süden angestellten Modulen aufgrund der etwas geringeren jährlichen Einstrahlung und der erhöhten Modultemperaturen, erreicht jedoch eine größere aktive Gesamtfläche, da sich die Module nicht gegenseitig verschatten. Mit dem selbsterzeugten Strom kann bei guter Wirtschaftlichkeit und Netzentlastung ein hoher Anteil des Eigenbedarfs kann für die Haushalte, Strom-Tankstellen für PKW und Fahrräder gedeckt werden. Die weitgehende Optimierung des Wärmebedarfs der Gebäude sowie die Wärmeversorgung über primärenergetisch günstige Biomassefeuerung und die dachintegrierte Stromerzeugung führt zu einem energetisch optimierten und zukunftsweisenden Gesamtkonzept für dieses Projekt.
Wirtschaftlichkeit
Die gewählte robuste, serielle und wirtschaftliche Konstruktion und Gebäudetechnik lässt sehr günstige Baukosten bei hoher Lebensdauer und geringem Unterhalt erwarten. Die Bauzeit wird durch einen hohen Vorfertigungsgrad vom Wandelement bis zum vorgefertigten Bad beschleunigt. Qualitativ hochwertige, wenn auch rohe Materialien, in Verbindung mit dem gemeinschaftlichen Konzept sichern eine hohe Akzeptanz und dadurch auch pfleglichen Umgang durch die Bewohner. Aus dieser Sichtweise führt eine Investition im Bereich der Gemeinschaftsflächen zu Wirtschaftlichkeit auf anderer Ebene. Sowohl für die Erstellung, als auch für den Lebenszyklus können somit geringe Kosten erwartet werden.
Mobilität
Das vorstehende Konzept unterstützt den Verzicht auf individuelle Mobilität. Ein wichtiger Faktor hierbei ist ein breites Angebot an Freiflächen für diverse Aktivitäten um Fahrten ins Grüne, in Erholungsräume, zu Spielplätzen und Sportanlagen zu ersetzen. Ein weiterer Faktor ist die Bildung einer vernetzten Gemeinschaft, die sich Generationen übergreifend in allen Lebenslagen gegenseitig unterstützen kann. Ganz allgemein fördert die günstige Lage und gute Vernetzung des Quartiers in zwei Richtungen - nach Norden und Süden den Verzicht auf Individualverkehr. Zu Fuß, oder per Rad sind in kurzer Entfernung Schulen, zweierlei Buslinien, der zukünftige Fernbahnhof, das Radwegenetz, Erholungsgebiete und die Innenstadt mit allen erforderlichen Einrichtungen erreichbar. Das Gebäude mit seinen Angeboten, seiner klaren Erschließung nach zwei Richtungen, überdachte und abschließbare Fahrradabstellplätze für alle Bewohner, eine Flotte mit 6 Carsharing-Fahrzeugen leistet hierbei einen Beitrag, Umwege zu vermeiden und Schwellen abzubauen.