Auftraggeber:
Lebenshilfe für Menschen mit Behinderung e.V. Kempten/Allgäu
Wettbewerb:
Mehrfachbeauftragung
Projektzeiten:
Planung: ab 2011
Projektbeteiligte:
Tragwerksplanung:
Hartmann + Walter Ingenieure, Kempten
Freianlagenplanung:
realgrün Landschaftsarchitekten, München
Städtebau
Ziel des vorgeschlagenen städtebaulichen und freiraumplanerischen Gestaltungskonzeptes ist die Entwicklung eines identitätsstiftenden, integrativen Erscheinungsbildes im Kontext der heterogen geprägten stadträumlichen und landschaftlichen Bestandsstrukturen.
Mit dem vorliegenden Konzept werden drei erdgeschossig verbundene kubische Baukörper entwickelt, die lesbare Einheiten und eindeutige Adressbildungen für die Wohngruppen schaffen. Somit soll ein typischer Heimcharakter bereits im städtebaulichen Ansatz verhindert werden.
Die kompakte Proportion und die dichte Stellung der Volumen wirken sich positiv auf die verbleibenden Freiflächen aus. Durch die versetzte Anordnung der Kuben wird jegliche Hofbildung vermieden, das Gebäude verzahnt sich vielmehr mit den jeweiligen Außenräumen. Diagonale Blickbeziehungen verstärken die Identifikation mit dem „eigenen Haus“.
Die vorhandene Zeilenbebauung mit ihren offenen Freiflächenbereichen wird durch die neuen Bauvolumen, Heckenstrukturen und Carport selbstverständlich abgeschlossen.
Freiraum
Den differenzierten nutzerspezifischen Anforderungen folgend werden im Dialog mit den Hochbauten öffentliche, halböffentliche und private Freiräume entwickelt.
Private „Gartenzimmer“, wie auch Freibereiche für übergreifende Kommunikation werden über einen grundstücksübergreifenden Rundweg verbunden.
Dachgärten, Dachterrassen und geschützte Hof- und Terrassenflächen komplettieren das Nutzungsangebot im Freiraum.
Adressbildung
- ein großzügiger baumüberstandener repräsentativer Vorplatz mit Verweil-, Warte- und Parkierungszonen führt von der Rottachstraße kommend zum Eingangsfoyer.
Taxivorfahrt, Transfer- und Lieferzone, wie auch ein mit Kletterpflanzen berankter Carport sind integrale Bestandteile dieses halböffentlichen Erschließungsbereiches. Weiterführend werden entlang des Rundweges die brandschutzrechtlich nachzuweisenden Rettungswege mit Rasengitterflächen hergestellt, ohne den parkartigen Charakter der Gesamtanlage zu beeinträchtigen. Über eine hochwassergesicherte Toranlage in der östlichen Begrenzungsmauer wird das Grundstück mit dem übergeordneten Fußwegenetz verknüpft.
Dem freiraumplanerischen Leitbild folgend werden die Gartenbereiche mit Obst- und heimischen, mittelgroßen Laubbäumen, wie z.B. Feldahornen locker überstellt und somit in den übergeordneten städtebaulichen Kontext integriert. Mit Sitzbänken ausgestattete Sonnen- und Schattenplätze laden zum Verweilen ein.
Die den jeweiligen Wohngemeinschaften zugeordneten, mit höhengestuften Hecken und Gartenmauern abgegrenzten „Gartenzimmer“ werden integraler Bestandteil der Gesamtanlage. Sie werden einem Baukastenprinzip folgend mit Sitzgelegenheiten, Gartengerätekiste und aus Zisternen gespeisten Gießwasserbrunnen ausgestattet.
Kleine Pflanzbeete ermöglichen das individuelle „Gärtnern“ der Bewohnergruppen.
Der beleuchtete Rundweg verbindet die unterschiedlich ausgeprägten Gartenzonen.
Der Dachgarten und die Dachterrasse werden mit Pflanzgefäßen ausgestattet und mit reichblühenden Felsenbirnen bepflanzt. Auch hier finden sich in Analogie zu den erdgeschossigen „Gartenzimmern“ Sitzbänke, Gartenwasseranschluss und Pflanzbeete.
Erschließung und Funktionalität
Die grundliegende Organisation gliedert sich in zwei Bereiche:
Ein verbindendes Sockelgeschoss mit Gemeinschaftsfunktionen für alle Wohngruppen sowie die Verwaltung. Vom großzügig überdachten Haupteingang gelangt man ins Eingangsfoyer. Ausblicke in die Freiflächenbereiche zwischen den ablesbaren Baukörpern und der eingestellten Terrassenraum ermöglichen eine einfache Orientierung. Die Foyer-Flächen sind dabei mehrfachbelegt mit Funktionen und Verkehrsflächen aus dem Raumprogramm. Darüberhinaus wird ein kleines Café angeboten, das die Kommunikation zwischen den Wohngruppen und auch mit Besuchern erleichtern soll.
Die Wohngruppen selbst werden ausschließlich in den geschützten beiden Obergeschossen angeordnet. Dafür wurde ein Wohngruppenmodul für zwei Wohngruppen auf einem Geschoß entwickelt, bei dem sich die wohngruppenzugehörigen Gemeinschaftsräume durch fixe oder flexible Wandelemente teilen lassen. Die Individualräume sind strikt nach Osten oder Westen orientiert, während sich die gemeinschaftlichen Wohnräume nach Süden orientieren. Pro Geschoß und Treppenhaus werden maximal zwei Wohngruppen erschlossen. Unabhängig vom Eingangsfoyer erhält jedes Treppenhaus einen eigenen Ausgang ins Freie zu den Gartenbereichen.
Tragkonstruktion und Materialität
Die Gründung der nicht unterkellerten Gebäude erfolgt durchwegs über elastisch gebettete Bodenplatten. Das Tragwerkskonzept erlaubt eine stetige Lasteinleitung in den Baugrund.
Unter der Bodenplatte ist ein vollflächiger Bodenaustausch mit einer Mächtigkeit von ca. 1,00m vorgesehen, welcher aus dem anfallenden Recyclingmaterial der vorhandenen Bodenplatten hergestellt werden kann. Die Bodenersatzmaßnahmen decken sich exakt mit der Unterkante der gering tragfähigen, alluvialen Schluff-Einlagerungen.
Auf umlaufende Frostschürzen wird verzichtet. Die Wärmedämmung kann ohne Wärmebrücken kontinuierlich um das Gebäude geführt werden.
Der Verzicht auf eine Unterkellerung hat erhebliche statische, erdstatische und vor allem wirtschaftliche Vorteile zur Folge:
Auf die Ausbildung einer wasserundurchlässigen Konstruktion, zusätzlichen Auftriebs- und Überflutungssicherungsmaßnahmen während der Bauzeit und im Betriebszustand kann vollständig verzichtet werden. Auch entfällt das Durchteufen der sehr sensiblen, alluvialen Kies- und Sandschichten. Die Hinweise im Bodengutachten können bei der genannten Konstruktionsart vollumfänglich eingehalten werden.
Die Deckensysteme und die räumlichen Nutzungen wurden hinsichtlich der Tragwerksplanung abgestimmt und optimiert: In Bereichen mit hoher Flexibilität sind weitgespannte Flachdecken vorgesehen. In den Randfeldern werden die Decken überwiegend konventionell mit linienartigen Unterstützungen ausgebildet. Die Endfelder der Massivdecken besitzen relativ geringe Spannweiten mit konstanten, durchlaufenden Unterstützungen. Aus statischer Sicht bedeutet dies eine hohe Wirtschaftlichkeit des Gesamtsystems.
Die tragenden Fassadenelemente werden im Sockelgeschoss aus hochgedämmten Betonsandwichelementen in Halbfertigteilbauweise ausgeführt. In den Obergeschossen werden die Außenwände aufgelöst in eine Skelettstruktur mit vorgelagerten hochgedämmten Wandsystemmodulen.
Das Materialkonzept soll die Differenzierung zwischen den halböffentlichen Nutzungen im Erdgeschoss und den Privatbereichen in den Wohngeschossen unterstützen: Im Sockelgeschoß robuste Betonoberflächen, die mittels Lasurtechnik in farbig abgestuften Tönen veredelt werden. Die Obergeschosse erhalten eine vorpatinierte Holzfassade, die stufenlos in eine silbergraue Oberfläche übergehen wird.
Im Inneren werden materialgerechte Oberflächen bevorzugt: weißer Putz, natürliche Holzflächen, farbiges Linoleum.
Energie und Ökologie
Der angestrebte Energiestandard als Passivhaus wird erreicht durch eine energieeffiziente, wärmebrückenfreie und luftdichte Gebäudehülle (keine Unterkellerung), eine kompakte Bauweise und ein maßvoller Fensteranteil, verbunden mit einem mehrstufigen Haustechnik-Konzept:
Die Wärmeerzeugung erfolgt regenerativ über Fernwärme, die Wärmeübergabe in einer kompakten Energiezentrale im südlichen Baukörper. Herstellungs- und Wartungskosten sind somit minimiert.
Die Raumerwärmung erfolgt durch ein Fußboden-Flächenheizungssystem mit hohem Strahlungsanteil. Die niedrigen Oberflächentemperaturen mit ca. 22°C bewirken eine hohe Behaglichkeit. Im Sommer wird das System als Kühlboden herangezogen. Das notwendige Kühlwasser wird über Tiefen-Geothermie oder Grundwasser bereitgestellt.
Die erforderliche Raumlufthygiene wird über ein kontrolliertes Wohnraum-Be- und Entlüftungssystem als dezentrale Gesamtlösung sichergestellt: Jede Nutzereinheit erhält ein Lüftungsgerät mit einer hochwertigen Wärmerückgewinnung > 90%. Die Luftkühlung im Sommerfall wie auch die Luftvorerwärmung im Winter erfolgen mittels Geothermie.
PV-Anlagen auf den obersten Flachdächern ergänzen das Energiekonzept.
Neben dem hohen Energiestandard werden weitere ökologische Kriterien in das Gesamtkonzept miteinbezogen:
Die nicht genutzten Dachflächen werden extensiv begrünt. Regenwasser wird wo möglich als Brauchwasser gesammelt und für die WC-Spülung und Gartenwasser genutzt. Die restlichen Regenwassermengen versickern auf dem Grundstück.
Die eingesetzten Baumaterialien werden hinsichtlich Schadstofffreiheit nach DGNB und grauer Energie bewertet. Die Verwendung regionaler Baustoffe und die Anwendung bekannter und erprobter Bautechniken ergänzen das Gesamtkonzept.
Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit
Folgende Maßnahmen lassen in der Summe ein wirtschaftliches Projekt erwarten:
- Verzicht auf zusätzliche Treppenhäuser aufgrund Brandschutzkonzept
- Keine Unterkellerung, dadurch keine aufwändigen Gründungsmaßnahmen
- Robuste Materialien und die Betrachtung von Lebenszykluskosten
- Hoher Vorfertigungsgrad, dadurch verkürzte Bauzeiten
Brandschutz
Das brandschutzfachlich abgestimmte Konzept sieht folgende Rettungswege vor:
Als erster Rettungsweg dienen Treppenhäuser, die durch RWA-Anlagen und Warteflächen innerhalb der Treppenhäuser aufgewertet werden. Der zweite Rettungsweg sichergestellt wird durch Warteflächen im Freien auf den Loggien und Dachflächen, welche von den Drehleitern der Feuerwehrfahrzeuge erreicht werden. Zusätzlich wird eine flächendeckende Brandmeldeanlage installiert. Mit diesen Zusatzmaßnahmen kann der fehlende zweite bauliche Rettungsweg kompensiert werden.